Mittwoch, 21. Oktober 2015

Zugfahren in Japan

Japan ist der Streber unter den Weltländern. Intelligent, diszipliniert, belächelt und manchmal ausgelacht, aber doch irgendwie beneidet. Und am Ende erfolgreicher als alle andern.

Wenn’s nämlich etwas gibt, was die Japaner besser können als jede andere Nation, ist es Zugfahren. Wären Zugwissenschaften eine olympische Disziplin, ginge die Goldmedaille an Japan. Die Silbermedaille auch. Inklusive Weltrekord in allen Unterdisziplinen.

Ein Interview mit einem professionellen Zugfahrer nach einer Niederlage gegen Japan würde in etwa so tönen:

Journi: „An was hat es gelegen?“
Pendler: „Ja die andern waren einfach schneller als wir. Wir hätten schon in den ersten 10 Sekunden mehr Platz machen sollen, aber unsere Gegner waren da bereits abgefahren.“

Eine typische Aussicht im Zug - Reisfelder und Hügel im Hintergrund


Alle Probleme, die beim Zugfahren in der Schweiz auftauchen, sind in Japan durch geniale Ideen gelöst.

In den Zug drängeln und dabei einen Ellbogen ins Gesicht kriegen? Nope! Angestanden wird hier organisiert und diszipliniert bei den entsprechenden Markierungen am Boden. Schön hintereinander. Wer zuvorderst steht, steigt als Erstes ein. Aussteigende Personen können einfach so durch die Türe aufs Perron treten! So richtig mit Platz und so. Schockierend, ich weiss!

Voraussetzung dafür ist, dass die Züge immer an der genau selben Stelle halten, damit der Wagen Nr. 6 der zweiten Klasse mit den Priority Seats auch tatsächlich bei der entsprechenden Markierung des Wagens Nr. 6 der zweiten Klasse mit den Priority Seats hält. Selbstverständlich klappt das in 10 von 10 Fällen. Das ist japanische Präzision!


Die mechanische Variante: Mit dem roten Hebel kann die Lehne "rübergeschoben" werden.

Der Zug hält an der Endstation und fährt danach in die entgegengesetzte Richtung weiter. Nur blöd, dass nun die Sitze in die falsche Richtung schauen. (Es ist ja ein ungeschriebenes Gesetz, dass der Fürschisitz am Fenster allen anderen Plätzen um Welten überlegen ist und deshalb auch jede Person ein eigenes Abteil für sich beanspruchen darf.)  Auch das ist kein Problem in Japan. Die Sitze werden einfach schwupps auf Knopfdruck umgedreht. Entweder werden die Lehnen verschoben oder gleich der ganze Sitz. So kann man auch aus Zweierreihen Vierer-Abteile machen oder umgekehrt.

In einem Land mit tendenziell kleinen Menschen sollte es dann für grossgewachsene Europäer eng werden, richtig? Falsch! Die Sitze bieten eine verhältnismässig grosse Beinfreiheit, zumindest in den Schnell- und Semi-Schnellzügen. Okay okay, ich mit meinen 158 Zentimetern bin nicht grade „ein grossgewachsener Europäer“, aber trotzdem. You get my point.

Zugegeben, Billette für die Schnellzüge sind in Japan ziemlich teuer. Irgendwie müssen der hohe Komfort und das Höllentempo ja finanziert werden. Ach ja, und sauber ist es natürlich auch, wie überall in Japan. Auch das hat mit der Mentalität der Japaner zu tun, denn Abfalleimer sind eine Rarität. Der Abfall wird schlicht und einfach mitgenommen und dort entsorgt, wo der nächste Mülleimer zu finden ist. Laute Musik und störende Telefongespräche? Stinkendes Fast Food in der Mittags-Rushhour? Von Rucksäcken besetzte Sitze? Gibt. Es. Nicht.

Japanische Höflichkeit (und mangelhafte Englischkenntnisse)
Eigentlich ist das Rezept für erfolgreiches Zugfahren ganz einfach: Investitionen in Technologie, Rücksicht auf die Mitreisenden und Einhalten der Regeln. Davon profitieren nämlich alle, zum Beispiel weil die Züge durch den raschen unkomplizierten Passagierwechsel automatisch pünktlicher sind. Locker bleiben ist in japanischen Zügen deshalb ein Kinderspiel. Es gibt nämlich nichts, das die innere Ruhe stören könnte.

Wenn du nun auch uuuunbedingt mal in Japan Zugfahren möchtest (und das solltest du), habe ich dir hier ein paar Tipps zusammengestellt.

Viel Spass beim Bähnlifahren!

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